Orchestrale Fülle mit drei Streichern
Werne. Die Begeisterung des Publikums musste sich zwischendurch Bahn brechen, obwohl eigentlich zwischen den Sätzen eines Konzertstücks nicht geklatscht wird. Aber die schillernde Virtuosität des Trios Lirico provozierte den Applaus nahezu. Mit diesem Konzert beschlossen die Musikfreunde Werne am Donnerstagabend (20.03.2025) eine erfolgreiche Saison 2024/25 vor erneut ausverkauften Stuhlreihen in der Marga-Spiegel-Schule.
Mit ihrem Programm loteten Franziska Pietsch (Violine), Atilla Aldemir (Viola) und Hila Karni (Violoncello) die Vielseitigkeit der Kompositionen für Streichtrio aus: ein Beethoven, der an formalen Grenzen rüttelt, ein emotional zerrissener Weinberg, ein deutsch-jüdischer Komponist zwischen den Kulturen und ein Dohnànyi, der in Romantik schwelgte.
Dramatische Dynamik und Kontraste prägen Beethovens Streichtrio op. 9,3. „Er schrieb es in der von ihm bevorzugten Tonart C-moll, die er auch effektvoll für seine fünfte Sinfonie verwandt“, erklärte Pietsch. In nachdrücklichen Akkorden und einer bisweilen fast grimmigen Ausdrucksweise äußerte sich die spannungsreiche Emotionalität des Allegros con spirito. Im Adagio kosteten Violine und Viola eine fast schmerzliche Innigkeit aus. Dem folgenden Aufbegehren verlieh das Cello pointierte Akzente. Im dritten Satz jagten die Töne quasi davon und wurden vom Ensemble geschickt wieder eingefangen. Die Reibungen zwischen wuchtiger Leidenschaft und mal sachten, mal pikanten Passagen wurden von den drei Streichern wirkungsvoll herausgearbeitet – bis hin zum turbulenten Finale in versöhnlichem C-Dur.
Die beiden folgenden Werke spiegelten die biografischen Unsicherheiten und Konflikte ihrer Komponisten Mieczysław Weinberg (1919–1996) und Paul Ben-Haim (1897–1984). Weinberg lebte sozusagen ein Leben auf der Flucht – zunächst als Jude vor den Nationalsozialisten, später als angeblicher Staatsfeind vor dem Diktator Stalin. Entsprechend klingt sein Streichtrio op. 48, „als würde jede Note ums Überleben kämpfen“, sagte Pietsch. Tatsächlich rissen die Streicher manche Laute fast von den Saiten ab. Pietsch gelangen auf ihrer Violine Töne von einer derart bittersüßen Sprödigkeit, dass man das meinte, sie könnten im nächsten Moment zerbrechen. Eine raue Intonation charakterisierte Melodielinien, die ins Nichts zu führen schienen. Und dann schälten sich hier und dort sanftere Partien heraus – wie Lichtschimmer in der Verzweiflung.
Das Schicksal des Emigranten teilt Paul Ben-Haim mit seinem zeitgenössischen Kollegen. 1933 emigrierte er wegen der NS-Machtübernahme nach Palästina. Seine Musik vereine „europäische Kultur, orientalische Rhythmen, jüdische Traditionen und impressionistische Schattierungen“ kündigte Pietsch an. Vor allem aber vermittle sein Allegro appassionato „die Weite eines offenen Himmels“. Der klang zunächst erst einmal sturmumtost. Doch schon nach wenigen Takten wurde deutlich, was die Violinistin meinte: Ein filmmusikalischer Duktus durchwehte das Stück – von liedhaften Anklängen bis hin zu kämpferischen Szenen. Selbst in jenen Augenblicken, die wie ein Kampf von jedem gegen jede klangen, blieb das Trio höchst transparent. Jeder Ton grenzte sich ab, nichts verwischte.
Mit der Serenade für Streichtrio C-Dur op 10 von Ernst von Dohnànyi (1877–1960) tauchte das Trio in die völlig andere Klangwelt der Spätromantik ein. Spielerische Leichtigkeit dominierte den ersten Satz, poetische Harmonie einen gefühlvollen Part der Bratsche. Im Scherzo entfaltete sich ein lebhafter Gedankenaustausch, bei dem mal der eine, mal die anderen die Oberhand zu gewinnen schien. Die beiden letzten Sätze gaben den drei Streichern noch einmal Gelegenheit, ihr Gespür für Stimmungswechsel und ihre virtuosen Fähigkeiten zu verdichten: Auf eine in sanglichen Motiven erzählte Liebesszene folgte ein atemberaubendes Finale, in dem die drei Instrumente ein orchestrales Klangvolumen erreichten.
von Anke Schwarze, erschienen bei WernePlus, am 21.03.2025